Thomas Dreher
Allan Kaprow versus Robert
Morris:
Ansätze zu einer Kunstgeschichte als Mediengeschichte
In der Einleitung zu seinem 1966 erschienen Buch "Assemblage,
Environments and Happenings" konfrontiert Allan
Kaprow die Beobachtersituation im Museum mit isolierten Exponaten mit Beobachtersituationen
in Environments und in Außenräumen: "picture shop" versus "intrinsically limitless
form".
Allan Kaprow: Assemblage, Environments & Happenings. New York 1966, Cover
Die Möglichkeiten zur Entgrenzung sieht er in Pollocks Aktionsmalerei vom Bildträger und im Environment von den Wänden eingeengt: "The room has always
been a frame or format too..."
Hans Namuth: Jackson Pollock malt
1950 "Autumn
Rhythm (Number 30)", Atelier, The Springs, East Hampton, Long
Island (an der Wand: "Number 32", 1950)
Offene Präsentationsformen wie Happenings in
Außenräumen werden zur zwingenden Konsequenz: "Rather than fight against the confines of a typical room, many
are actively considering working out in the open."1
Robert
Morris thematisiert 1968 in "Anti-Form"2 die Relation Rahmen/Feld bei einer bestimmten formalen Organisation von Installationen:
In vielteiligen Installationen, deren einziges Ordnungsprinzip darin besteht,
Elemente aus Filz, Stahl und anderen Materialien so auf dem Boden zu verteilen,
daß der optische Eindruck einer gleichmäßigen Streuung (Entropie) entsteht,
wiederholt sich nach Morris das Problem von Jackson
Pollocks "all-over" (z. B. Clement Greenberg, The Nation, 1.2.1947, 24.1.1948) zwischen potentiell unbegrenztem optischem Feld und materiell begrenztem Träger. Aus dem Rechteck des Bildfeldes wird das Rechteck des umbauten Raumes (zwischen Boden und Wänden):
The
duality is established by the fact that an order, any order, is operating beyond
the physical things. Probably no art can resolve this. Some art, such as Pollock´s,
comes close.3
Allan Kaprow: Yard, Installation, Martha Jackson Gallery,
New York 1961, Skulpturenhof (Foto: Ken Heyman)
Kaprow, der sein Environment "Yard" (1961) für in Aktionsfelder mit Reifen integrierte Beobachter 1967 im Pasadena
Art Museum in Los Angeles rekonstruierte4,
beantwortet Morris´ These der unüberwindbaren Dualität zwischen materiell begrenzter
und optischer Ordnung wie folgt: Er weist Morris nach, daß er die formale Dualität
zwischen begrenzter und offener Form und die Dualität zwischen materieller und
optischer Ebene in einer Weise verbindet, die künstlerische Möglichkeiten ausschließt
und somit restriktiven Charakter hat. Kaprow bezeichnet Morris´ Typisierung
der formalen und optischen Dualität als "conventional dualism of the stable
versus the unstable, the closed versus the open..." Den Rahmen des begrenzten
Installationsraumes identifiziert Kaprow als vom etablierten Kunstkontext und
tradierten Rezeptionsweisen bedingte Begrenzung:
Morris´ new work...was made
in a rectangular studio, to be shown in a rectangular gallery, reproduced in
a rectangular magazine, all aligned according to rectangular axes, for rectangular
reading moments and rectangular thought patterns.
Robert Morris: Untitled, 1968-1969, Installation, 200 Teile, Filz, Kupfer, Gummi, Zink, Nickel, Aluminium, Korten- und Edelstahl
Kaprow argumentiert gegen
Morris´ Ausgangspunkt, daß Kontextfragen vor Kunstfragen - kontextbedingte Weltbeobachtung
vor Kunstbeobachtung - zu beachten seien, während Morris mit seiner Ausgangsfrage
"Anti-Form" versus Form seine eigenen kontextbedingten Beschränkungen nicht
reflektiere:
It may be proposed that the context, or surrounding, of art
is more potent, more meaningful, more demanding of an artist´s attention, than
the art itself. Put differently, it´s not what the artist touches that counts
most. It´s what he doesn´t touch.5
Morris argumentiert vom Standpunkt des Künstler-Theoretikers, der angeregt
von der strukturalistischen Ethnologie Claude Lévi-Strauss´ und George Kublers "The Shape of Time. Remarks on the History of Things"6 Aspekte der Kunstproduktion auf formale Aspekte reduziert und nach unhintergehbaren
Axiomen (auch von Prozessen in der Zeitdimension) sucht, während Kaprow für
eine Problematisierung der Welt- wie Kunstbeobachtung prägenden Rahmenbedingungen
plädiert.
Der historisch bedingte Rahmen ist für Kaprow nicht auf einen Variabilität
formalisierenden, `letzten´ Rahmen von Formklassen in der Zeit- und Sachdimension
reduzierbar, sondern besteht aus infinit veränderbaren Rahmenkombinationen.
Die künstlerische Praxis außerhalb der Institution Museum soll nach Kaprow den
Kunstbetrieb nicht auflösen, wohl aber zu (s)einer (Selbst-)Revision führen.
Kaprow weist Morris nach, daß er Möglichkeiten zur Revision des Kunstbetriebs
aufgibt, wenn er von gegebenen Rahmenbedingungen auf von Kontextbedingungen
ablösbare und universalisierbare Formfragen zu schließen versucht. Die methodischen
Hintergründe dieser Konfrontation zwischen Kaprow und Morris sind nicht kunstspezifisch,
sondern typisch für geisteswissenschaftliche und gesellschaftskritische Auseinandersetzungen
der sechziger Jahre (z. B. Strukturalismus versus Kritische Theorie).
Allan Kaprow: Words, Installation, Smolin Gallery,
New York 1962 (Fotos: Robert Mc Elroy/Licensed by VAGA, New York)
Interessant ist die Konfrontation einer
Auffassung von Innenraum-Installationen als geschlossenes Medium (Morris) mit
einer Auffassung, die dieses Medium durch Überführung in
Partizipationsmöglichkeiten (im Innenraum ist Kaprows "Words"7 ein Beispiel) und in nicht museale (nicht von "Kunstbeobachtung" vorbelastete)
Außenräume transformieren will - konstruktivistisch ausgedrückt: Formale Konsequenz verändert ein Medium, indem die Relationen
zwischen Medium und Form (bzw. "Zwei-Seiten-Form"8)
verschoben werden, über den `als Kunst´ etablierten Rahmen hinaus. Kaprow
rekonstruiert zeitgenössische Kunstgeschichte als Mediengeschichte. Die
zeitbedingte Relevanz eines Mediums ergibt sich für ihn aus den historischen
Rahmenbedingungen, die die Rezeptionsbedingungen bestimmen, und aus den
zeitbedingten, von Künstlern realisierbaren Möglichkeiten ihrer
Veränderung.
Allerdings entzieht sich Kaprow dem Problem, wie diese
Rahmenbedingungen zu charakterisieren sind. Erörterungen von Art
& Language-Mitgliedern, die in der Zeitschrift "Art-Language"
und 1975-76 in der Zeitschrift "The Fox" publiziert sind, konzentrieren
sich auf dieses Problem.9 Die Konzept-Kontext-Dialektik von Art & Language entfaltet Kaprow
noch nicht. Die Mitglieder von Art & Language beziehen in ihren Texten
Konzept und Kontext wie folgt aufeinander: Sie konzeptualisieren die gegebenen
Rahmenbedingungen in Form einer Selbstkontextualisierung (Was bedeutet
die eigene Arbeit im gegebenen Rahmen?) und versuchen, durch die Präsentationen
alternativer Konzepte des Kunstkontextes diesen selbst zu transformieren:
Die Künstlertheorie und die Präsentationsform thematisieren die Präsentationsumstände.
Mit der Geschichte der Künstlertheorie versuchen die Mitglieder von Art
& Language auch die Sozialgeschichte der Kunst umzuschreiben. In diesem
Konzept der Revisionierung der Rahmenbedingungen von Kunst durch eine
den institutionalisierten Rahmen thematisierende Kunst geht die Offenheit
der mit (Inter-)Medien experimentierenden Künstler der sechziger Jahre
für Weltbeobachtung verloren: Der Einsatz von Medien richtet sich nach
den konzeptuellen Strategien. Die Ziele dieser Strategien werden in Texten
ausgearbeitet, die den Manifestcharakter älterer künstlerischer Äußerungen
endgültig abstreifen. Die Selbst-Akademisierung der Künstlertheorie wird
vorangetrieben, um professionellen Kunstkritikern und Kunsthistorikern
zeigen zu können, daß aus einer sprachphilosophisch erweiterten Methodendiskussion
sich andere Analysen der Bedingungen des Kunstbetriebs ergeben.
Eine Theorie der Medienkunst sollte aus der Geschichte (der Theorie)
der Intermedia
Art wie der Diskussion der Relation Konzept-Kontext in Theorien Konzeptueller
Künstler Schlüsse ziehen. Peter Weibel hat in "Die Beschleunigung der Bilder in der Chronokratie"10 einen Vorschlag, wie dies zu bewerkstelligen sei, vorgelegt. Weibels Geschichte
der die Zeitdimension im Zuge des technischen Fortschritts erobernden
Bildwelten (vom Bild über Foto, Fotosequenz und Film zum digitalisierten
Bild) ist im Hinblick auf (Medien- und Aktions-)Vernetzung und direkte
sowie medial vermittelte Interaktion zu revidieren und von einem Überhang
an sozial- und technikgeschichtlichen Spekulationen zu befreien. "Die
Beschleunigung der Bilder in der Chronokratie" ist ein wichtiges, zu wenig
diskutiertes, inzwischen aber revisionsbedürftiges Buch.
Thomas Dreher 1997/98
Anmerkungen
1
Kaprow, Allan: Assemblage, Environments and Happenings. New York 1966,
S.154f.
2
Morris, Robert: Anti-Form. In: Artforum. April 1968, S.33ff.
3
s. Anm.2, S.34.
4
Kaprow, Allan-Yard, Environment, Environments, Situations, Spaces, Martha
Jackson Gallery, 32 East Street, New York, 25.5.-23.6.1961/Pasadena Art Museum,
Los Angeles, 1967/Whitney Museum of American Art, New York, 1984/u. a., u. a.
in: s. Anm.1, S.139f., Ill.108f., S.143, Ill.112f.
5
Kaprow, Allan: The Shape of the Art Environment. How anti form is "Anti Form"?
In: Artforum. September 1968, S.32f.
6
Kubler, George: The Shape of Time. Remarks on the History of Things. New
Haven/London 1962. Zu Morris´ kunsttheoretischen Anregungen siehe Berger,
Maurice: Labyrinths. Robert Morris, Minimalism, and the 1960s. New York 1989,
S.6,59,134.
7
Kaprow, Allan-Words, "rearrangeable environment with lights and sounds",
Smolin Gallery, New York, ab 11.9.1962/State University of New York at
Stony Brook, Stony Brook/New York, Oktober-November 1962/Museum of Contemporary
Art, Chicago/Illinois, 1967/Pasadena Art Museum, Los Angeles/California,
1967/Whitney Museum of American Art, New York, 1984 (Rekonstruktionen),
u. a. in: Alloway, Lawrence: Artists as Writers, Part Two: The Realm of
Language. In: Artforum. April 1974, S.33f.; Dreher, Thomas: Kontextreflexive
Kunst. Selbst- und Fremdbezüge in intermedialen Präsentationsformen. In:
Weibel, Peter (Hg.): Kontext Kunst. Kunst der 90er Jahre. Kat. Neue Galerie
im Landesmuseum Joanneum, Graz 1993. Köln 1994, S.82f.; Kaprow: s. Anm.1,
S.52, Ill.38, S.54, Ill.40; Kaprow, Allan: Words. Kat. Smolin Gallery.
New York 1962; Kaprow, Allan: Words. An Environment. In: Décollage. No.4.
Januar 1964, o. P.
8
Niklas Luhmann
versteht "Medien" als "Zwei-Seiten-Form", wobei eine geschlossenere "Form" eine
der möglichen Anwendungen der Kombinationsmöglichkeiten von Elementen eines
"Mediums" beziehungsweise einer variableren, offeneren Form demonstriert. Die
Differenz "Medium"-"Form" als "Zwei-Seiten-Form": Baecker, Dirk (Hg.): Kalkül
der Form. Frankfurt a. M. 1993, S.197-212; Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft
der Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1997, S.1148; Luhmann, Niklas: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1995, S.48-65,89,150,165-214,437;
Luhmann, Niklas: Weltkunst. In: Baecker, Dirk/Bunsen, Frederick D./Luhmann,
Niklas: Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur. Bielefeld 1990, S.10ff.,20;
Luhmann, Niklas: Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M. 21994, S.184,706f.
Vgl. Luhmann, Niklas: Das Medium der Kunst. In: Delfin. Bd. VII/1986, S.6-15..
Basis der "Zwei-Seiten-Form" ist "die Unterscheidung von Unterscheidung und
Bezeichnung", also die "Unterscheidung in sich selbst". (Luhmann, Niklas: Zeichen
als Form. In: Baecker, Dirk (Hg.): Probleme der Form. Frankfurt a. M. 1993,
S.50 mit Anm.15, S.53ff.)
"Medium" und "Form": Baecker, Dirk: Kalkül der Form, s.o.,
S.137 mit Anm.54, S.148-151; Fuchs, Peter/Luhmann, Niklas: Reden und Schweigen.
Frankfurt a. M. 21992, S.11f.,160f.; Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der
Gesellschaft, s.o., S.59,195-202.,267; Luhmann, Niklas: Die Kunst der
Gesellschaft, s.o., S.165-214; Luhmann, Niklas: Das Medium der Kunst, s.o.,
S.6ff.; Luhmann, Niklas: Die Wissenschaft der Gesellschaft, s.o.,
S.53-56,181-189.
9
Dreher, Thomas: Konzeptuelle Kunst in Amerika und England zwischen 1963 und
1976. Diss. Ludwig-Maximilians-Universität. München 1988/Frankfurt a. M. 1992,
S.115-121,157-163.
10
Weibel, Peter: Die Beschleunigung der Bilder in der Chronokratie. Bern
1987.
Bildquellen (Ergänzung 2009):
Namuth, Hans: Jackson Pollock, 1950:
Varnedoe, Kirk/Karmel, Pepe: Jackson Pollock. Kat. Ausst. The Museum of Modern Art. New York 1998, S.93, Abb.13f.
Kaprow, Allan: Yard, 1961:
Kelley, Jeff: Childsplay. The Art of Allan Kaprow. Berkeley/Los Angeles 2004, S.60.
Morris: Untitled, 1968-69:
Compton, Michael/Sylvester, David: Robert Morris. Kat. Ausst. Tate Gallery. London 1971, S.118.
Kaprow, Allan: Words, 1962:
Kelley, Jeff: Childsplay. The Art of Allan Kaprow. Berkeley/Los Angeles 2004, S.72.
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