Thomas Dreher
Der
Beobachter als Akteur in Happenings Eine kleine Geschichte der re- & interaktiven Kunst
Jedes reaktive Datensystem, das dem Benutzer die Wahl zwischen
Alternativen läßt, wird in der Werbesprache der Computerbranche als `interaktiv´
bezeichnet. Bescheidener wird in der Forschung über Künstliche Intelligenz von
lernfähigen Systemen gesprochen, die "über Bewertungskriterien verfügen",
durch die sie "über die Ausgestaltung der Reaktionsweise f mitentscheiden
können." (Döben-Henisch)
Die Entwicklung einer multimedialen, an keine etablierten Gattungskriterien
gebundenen Kunst wird im folgenden in ihren reaktiven und interaktiven Brechungen
vorgestellt. Als `reaktiv´ werden starre Systeme mit vorprogrammierten Reiz-Reaktions-Mustern
bzw. Sensorinput-Agentoutput-Relationen bezeichnet. Der Begriff `interaktiv´
bleibt dem Dialog zwischen lernfähigen Kommunikationspartnern vorbehalten. II. Interaktion im Real- und Datenraum Im folgenden wird in einem Dreischritt
vorgegangen: II.1. Kaprows "`participation´ Happening" "18 Happenings in Six Parts" realisiert Kaprow 1959 in der New Yorker Reuben Gallery. Auf dem Programmzettel trennt er zwischen "participants" und "visitors". Die "participants" weist Kaprow vor der Aufführung ein, welche Aktionen sie in den von Paravents voneinander getrennten drei Aufführungsstationen simultan vorführen sollen. Das Publikum, das sich auf diese Stationen verteilt, wechselt von "part" zu "part" die Station. Die "instructions" des Programmzettels an die "visitors" beziehen sich auf den Stationenwechsel: Sie erhalten drei Karten mit Anweisungen für Sitzplätze und Sitzplatzwechsel von "part" zu "part". Aus Michael Kirbys detaillierter Aktionsbeschreibung geht hervor, daß von jeder Station auch Teile der Aktionen an anderen Stationen zu hören und - durch die Semitransparenz von Teilen der Paravents - auch zu sehen sind. Die "visitors"/"observers" befinden sich in jedem "part" in einer anderen Relation zum gesamten Aktionsgeschehen. Einen Beobachterstandort mit Totalüberblick gibt es nicht - auch für Kaprow als Ausführungsleiter nicht. Allan Kaprow: 18 Happenings in Six Parts, Reuben Gallery, New York 1959 In den in Außenräumen realisierten Happenings "Household" (1964) und "Gas"
(1966) werden alle "visitors" zu "participants". Es gibt
nur noch Koakteure: "There is thus no separation of audience and play."
Von der Aktion ausgeschlossene Beobachter sind abgeschafft. Kaprow realisiert
in den "`participation´ Happening[s]", was er 1958 in dem Artikel
"The Legacy of Jackson Pollock" im All-over auf großen Formaten bereits
antizipiert sah. Er schrieb dort: "We are participants rather than
observers". II.2. Participation-Tele-Performance Allan Kaprow verbindet 1969 in "Hello!" Kameras an verschiedenen Orten mit Monitoren in einem Studio. Künstler, darunter Nam June Paik, können live über die Monitore im Studio miteinander kommunizieren: eine Participation-Tele-Performance. Allerdings ist diese Performance einer über die wenigen "participants" hinaus reichenden Öffentlichkeit nur als Videoperformance (s/w, Ton, 5´17´´) präsentierbar: als in einem Ein-Weg-Kommunikationsmedium abgebildete vergangene Zwei-Weg-Kommunikation. Allan Kaprow: Hello!, TV-Sendung "The Medieum is the Medium", 1970 mischt Stan Vanderbeek in "Violence Sonata" Live- und andere Aufnahmen zum Thema Gewalt im amerikanischen Alltag mit "multimedialen Projektionen und Publikumsreaktionen im Studio und aus dem Telefon" (Davis). Im Unterschied zu Kaprows "Hello!" kann jeder "observer" zum "participant" werden. Douglas Davis setzt 1971 mit "Electronic Hokkadim" und 1972 mit "Talk Out!" die TV-Zwei-Weg-Direktübertragung fort. Zuschauer können in "Talk Out!" die laufende, zum Teil auf Videobändern vorproduzierte Sendung kommentieren und vor die Kamera treten. Stan Vanderbeek: Violence Sonata, 1970, TV-Sendung, II.3. Textproduktion durch Kollaboration im Datennetz Die Möglichkeiten der Datenfernübertragung regen Künstler
in den achtziger Jahren an, Konzepte für kollektive Textproduktionen zu
entwerfen und zu realisieren. Die technische Basis liefert die 1980 unter
der Leitung von
Robert Adrian X im I. P. Sharp Associates Network (IPSA) etablierte
Mailbox ARTBOX, ab 1983
ARTEX ("The Artist´s Electronic Exchange Programme", bis 1990). Roy Ascott: La Plissure du Texte, ARTEX (The Artist´s Electronic Exchange Program), I.P. Sharp Associates Computer Timesharing Network, 1983 III. reaktive elektronische Installationen Im folgenden wird - wie oben angekündigt - ein zweiter Strang von reaktiven Werken mit maschinellen Systemen vorgestellt. Er beginnt mit reaktiven kinetischen Systemen. III.1. kinetische Skulpturen und Environments Nicolas Schöffers spatiodynamische Skulpturen (ab 1949) projizieren und reflektieren farbiges Licht. Sie erweitern die Möglichkeiten maschinengesteuerter Lichtmodulation von Laszlo Moholy-Nagys "Lichtrequisit" (1922-30 in Kollaboration mit Istvan Sebök und Otto Ball). Ein vor dem Lütticher Palais des Congrès am Ufer der Meuse 1961 aufgebauter Turm von 52 m Höhe transformiert Luft-, Geräusch- und Lichtereignisse der Umwelt in Bewegung sowie in Licht- und Klangkompositionen, letztere organisiert von Henri Pousseur. Nicolas Schöffer: Lichtspiel auf der Fassade das Palais de Congrès (links) In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre entstehen die ersten "reaktiven" (Seawright) oder "responsiven Environments" (Burnham und Krueger) mit Sensoren - zum Beispiel Lichtschranken und druckempfindliche Platten -, die Licht- und Tonschaltungen aktivieren. James Seawright schrieb über seine reaktiven Geräte aus Anlaß einer Ein-Mann-Ausstellung der Stable Gallery (New York) 1966 in der "New York Times" (6.11.1966): "The machines process information. Their cells and sensors collect information on light and sound, and they behave accordingly. My aim is not to `program´ them but to produce a kind of patterned personality. Just as a person you know very well can surprise you, so can these machines. That´s the crux of what I want to happen." Seawright konstruiert "Watcher" (1965-66) aus Komponenten "für den Programmablauf" und "für die Steuerung des Verhaltens der Skulptur" (Seawright). Die Umrisse von "Watcher" lassen an zwei Figuren oder Häuser auf einer gemeinsamen Plattform denken. 1968 in "Electronic Peristyle" verzichtet Seawright auf die figurative Lesbarkeit von "Watcher". "Electronic Peristyle" ist les- und brauchbar als symmetrisch angelegter Treffpunkt. Die Elemente zur Erzeugung von "wechselnde[n] Licht-, Klang- und Luftmuster[n]" (Davis) werden in einen Kreis aus 10 Stelen und einen kugelförmigen Glaskörper in der Mitte integriert. James Seawright: Watcher, 1965, Guggenheim Museum, New York Hans Haacke reduziert in dem Environment "Photo-Electric Viewer-Programmed Coordinate System" die Mittel auf glatte Wände mit Perforationen für technisches Equipment, das hier aus Infrarotlichtstrahler und Glühbirnen besteht. Die Infrarotlichtstrahler bilden ein Raster, das Beobachter unterbrechen. Die Unterbrechungen aktivieren die Sensoren. Die Sensoren liefern die Daten zur Steuerung der Ein-/Ausschaltung der Glühbirnen, deren Lichtemission wiederum die Beobachter- (Gehen) und "Beobachtungsoperationen" (Sehen-Vorstellen) beeinflußen. Haacke schreibt im Katalog seiner Ausstellung in der New Yorker Howard Wise Gallery im Januar 1968: "A `sculpture´ that physically reacts to its environment is no longer to be regarded as an object. The range of outside factors affecting it, as well as its own radius of action, reach beyond the space it materially occupies. It thus merges with the environment in a relationship that is better understood as a `system´ of independent processes." Die Differenz zwischen James Seawrights reaktiven Skulpturen von 1965-66 und seinem computergestützt gesteuerten "Network III", 1971 im Walker Art Center in Minneapolis installiert, kann zur Illustration von Haackes Beschreibung des Gegensatzes zwischen einem Werkobjekt und einem Werk als "System von unabhängigen Prozessen" in einer Umgebung eingesetzt werden. Seawrights "Network III" besteht aus betretbaren Sensoren - Druckplatten - am Boden und Agenten - ein Raster aus Lichtern - an der Decke. Beobachteroperationen auf den Platten erzeugen Lichtmuster, die "Beobachtungsoperationen" (Sehen-Vorstellen) provozieren, welche weitere Beobachteroperationen (Gehen) provozieren können. "Network III" kann als Modifikation von Haackes "Photo-Electric Viewer Programmed Coordinate System" verstanden werden: Sensoren und Agenten, die Haacke in der Wand unterbringt, verteilt Seawright auf Boden und Decke. Hans Haacke: Photo-Electric Viewer-Programmed Coordinate System, 1968, 14 Infrarot-Projektoren, 14 photoelektronische Zellen, 28 weiße Glühbirnen, Raum: 305 x 345 x 345 cm III.2. Closed Circuits Ende der fünfziger Jahre beginnen Künstler, Fernseher
einzusetzen. Ende der sechziger Jahre werden die Sensoren sowie die Licht- und
Klangagenten der oben vorgestellten reaktiven Environments (s. III.1.) durch
Kameras, Videorecorder und Monitore ersetzt. Alex Hay: Grass Field, 9 Evenings: Theatre and Engineering, The 69th Regiment Armory, New York 1966 (Film: Alfons Schilling, 16 mm) Closed Circuit-Installationen haben Les Levine ("Iris", 1968) und Nam June Paik ("TV-Chair") ab 1968 sowie Bruce Nauman ("Come Piece", 1969; "Corridor Installation", auch gen. "Live/Taped Video Corridor", 1969) und Ira Schneider mit Frank Gillette ("Wipe Cycle", 1969) ab 1969 konstruiert. In diesen Closed Circuit-Installationen ersetzen Video-Kameras die TV-Kameras der "Nine Evenings"-Performances von Hay und Rauschenberg [Korrektur November 2013: In den "Nine Evenings" wurden bereits Videokameras verwendet. Sie wurden damals noch als TV-Kameras bezeichnet.]. Außerdem lösen Videorecorder und Monitore die Projektionsgeräte und -wände der genannten Performances ab. Die Performances der "Nine Evenings" integrieren "participants" für reaktive Systeme, während die Besucher "observers" bleiben. In Video-Closed-Circuits wird der "observer" zum "participant". Der Beobachter sieht sich selbst im Monitor beim Beobachten und Handeln: Er beobachtet seine Beobachteroperationen. Nam June Paik: TV Chair, 1968/1975 (Paik auf TV Chair, Köln 1976. Foto: Friedrich Rosenstiel) Levines "Iris" (1968; vgl. "Contact", 1969), Gillette/Schneiders "Wipe Cycle" (1969) und Paiks "Participation TV II" (1969-71) sind Multi-Monitor-Installationen mit Closed Circuits. Gillette und Schneider kombinieren in "Wipe Cycle" Monitore, die reaktive Bildquellen in Echtzeit und in Zeitverzögerung präsentieren, mit Monitoren, die von nicht-reaktiven Bildquellen (Video-Aufzeichnungen von Fernsehsendungen) gespeist werden. Paik integriert in "Participation TV II" zusätzlich zum Video-Closed-Circuit einen Videosynthesizer, der über ein Manual von Beobachtern bedient werden kann und mit Bildtransformationen reagiert. Durch den 1970 von Shuya Abe und Paik entwickelten Videosynthesizer wird die Manipulation der elektromagnetischen Wellen in TV-Röhren systematisch steuerbar. Frank Gillette/Ira Schneider: Wipe Cycle, Installation mit 9 Monitoren und einer Live-Kamera, Howard Wise Gallery, New York 1969 Der "observer" ist in "Participation TV II" auch "participant" als Spieler am Schaltpult. Wenn der Beobachter von der Rolle des Spielers im System in die Position des Forschers auf der Suche nach Systemmöglichkeiten switchen will, kann er die Reaktionsmöglichkeiten des technischen Systems erkunden. Die mentalen Pläne, die sich die Beobachter zulegen, um die Input/Output-Relationen zu erfassen, müssen mit dem realen Schaltplan nicht übereinstimmen. Der Beobachter rekonstruiert die Oberflächenrelationen zwischen seinen Operationen und den wahrnehmbaren Antworten des Systems. Die Bestandteile des realen elektronischen Systems von reaktiven Installationen können Black Boxes (mit bekannter Funktion, aber unbekannter Funktionsweise) bleiben. Die Funktionsweisen aller elektronischen Bausteine zu kennen ist nicht Voraussetzung, um die Systemmöglichkeiten auszuloten. Nam June Paik: Participation TV II, 1969/71, Galerie Bonino, New York 1971 (Foto: Peter Moore) Der Künstler hat die einzelnen Komponenten eines Schaltplanes Ready-Made aus industrieller Fertigung übernommen. Nicht die vor dem Werkkonzept schon vorhandene, wegen ihrer Funktionsfähigkeit gewählte Elektronik ist werkkonstitutiv, sondern die beobachterzentrierte Sensor-Agent-Verbindung: Der Künstler kreiiert nicht, sondern kombiniert im Hinblick auf die Möglichkeiten der Konzeptualisierung von Beobachtung in begehbaren Modellen. Durch Kombination von elektronischen Komponenten werden Schaltpläne realisiert, die technische Funktionen ermöglichen, welche Modellfälle zur Problematisierung von Weltbeobachtung (s. I.) liefern. Der künstlerische Aspekt liegt in den beobachterzentrierten Konzepten, während ihre Realisation sich beliebig oft aus Bausteinen der Massenfertigung wiederholen läßt. Doch im Unterschied zu "Event Cards" von Fluxus-Künstlern wie George Brecht und zur "Conceptual Art" von Sol LeWitt oder Lawrence Weiner kann das Lesen von Konzepten nicht die Beobachter- und "Beobachtungsoperationen" in einer der Realisationen ersetzen. Die Beobachter sind in das künstlerische Modell als Handelnde integriert. Die Closed-Circuit-Installationen sind zweiseitige Beobachtermodelle: Die auf dem Monitor präsentierte Kamera-Beobachtung ist für "observer"-"participants" konzipiert, die vor der Kamera operieren. Die Beobachter vor der Kamera orientieren ihre Operationen wiederum an den Monitorreaktionen. Die Kamera beobachtet den Beobachter, der am Monitor beobachtet, was die Kamera beobachtet. III.4. computergestützte Bildverarbeitung in reaktiven Systemen Closed-Circuit-Video-Installationen wie Peter Weibels "Imaginärer Tetraeder" (1979) können den Beobachter provozieren,
das Verhältnis zwischen seiner Selbstverortung im Realraum und dem Ort seines
Abbildes im Bildraum zu reflektieren. Der Bildraum wird von zwei Kamera-Inputs
gebildet, die über einen Mischer zusammengeschaltet werden. Das Bild von Bodenlinien,
auf denen der Beobachter steht, und die Kamerareproduktion auf einer Zeichnung
ergeben einen "imaginären Tetraeder" zwischen, vor und hinter dessen Linien
sich der Beobachter wiederfindet. Die Installation schafft eine Situation, die
es dem Beobachter erschwert, die beiden Kamera-Inputs im Bildraum auseinander
zu dividieren, und orientiert die "Beobachtungsoperationen" auf Probleme des
Umgangs mit dieser Komplikation. Zum Leitthema der Installation wird die Rückkoppelung
der Beobachteroperationen an "Beobachtungsoperationen". Myron Krueger: Videoplace, 1974-1990, Closed-Cicuit-Installation mit Kamera, Computer und Beamer III.4.1. Vier-Welten-Kubus III.4.1.1. Installation "Vier-Welten-Kubus/Zur Rechtfertigung der hypothetischen Natur der Kunst und der Nicht-Identität der Objektwelt" entstand am Institut für Neue Medien in der Frankfurter Städelschule unter der Leitung von Peter Weibel. Die Installation vereinigt vier Bildwelten, die von MitarbeiterInnen des Instituts konzipiert und programmiert wurden. In die 1992 in der Kölner Galerie Tanja Grunert präsentierte Installation gelangt der Beobachter über einen dunklen Gang in einen Raum, den eine reaktive, computergesteuerte Bildprojektion erhellt, sobald Bodensensoren aktiviert werden. In eine 5 x 5 Meter große Bodenfläche sind Kontaktmatten eingelassen. Der eintretende Beobachter hat die Projektion bereits aktiviert, bevor er den Zusammenhang zwischen 32 Sensoren und Bildprogrammen erkennen kann. Eine Textwelt aus Buchstaben (Constanze Ruhm/Bob O´Kane), eine Architektur- bzw. Raumwelt (Dieter Beck/Christian Möller), eine Objektwelt (Akke Wagenaar) und eine Gaswelt (Gideon May/Laurent Mignonneau) kann der Beobachter über vier farbige Bodensensoren wählen. Der Beobachter betätigt beim Betreten des Installationsraumes die dem Eingang nächsten vier Sensoren, über die eine der vier Programme/Welten aufgerufen wird. Bis er weitere Sensoren betätigt, sieht er das Anfangsbild. 25 graue Sensoren koordinieren Skalierung, Proportion und Rotation. Weitere drei graue Sensoren steuern Twirl-, Twist- und Wavefunktionen. Peter Weibel u.a.: Zur Rechtfertigung der hypothetischen Natur der Kunst Sensorenaktivierung und Beobachterstandpunkt sind gekoppelt: Der Beobachter kann nicht gleichzeitig eine große Entfernung zur Wand einnehmen und Sensoren nahe der Leinwand betätigen wollen. Der Beobachter im Realraum kann die Programme durch Aktivierung der Sensoren bis zu einem gewissen Grad beeinflussen, muß aber virtuellen Welten wie der Gaswelt ihr Eigenleben lassen. Weibel bezeichnet die selbst organisierte "Variabilität" virtueller Welten als "Viabilität". III.4.1.2. Schnittstelle im Duo-Pluriversum Die Selbstverortung des Beobachters im Sensorenraum und in je einer der Bildwelten, in Raumbild und Bildraum, verlaufen in der reaktiven Installation "Zur Rechtfertigung der hypothetischen Natur der Kunst und der Nicht-Identität der Objektwelt" einerseits parallel und überschneiden sich andererseits: Es sind zwei autonome Welten mit Übergängen. Der Begriff `Raumbild´ wird hier als Bezeichnung für die Konstruktion einer Vorstellung von Realräumen verwendet. Dieses Raumbild ist ein Konzept, das dem Beobachter Selbstverortung und Handlungskoordination im Realraum ermöglicht. Weibel konstituiert Kunstbeobachtung durch eine Relationierung von Raumbildern mit Bildräumen in einer Modellsituation, aus der Beobachter Konsequenzen für Weltbeobachtung ziehen können. Aus den Modifikationen der Weltbeobachtung, die sich in der Modellsituation ergeben, können wiederum Schlüsse für Kunstbeobachtung gezogen werden, z.B. über die Relationen zwischen der Beobachtung von Bildern oder Skulpturen losgelöst vom Umraum und der Beobachtung der Kunstwerke als Objekte im Umraum (auf dem Boden oder an den Wänden). Der Begriff "Schnittstelle" wird hier für die
Komponenten eingesetzt, die Beobachtern eine Dateneingabe ermöglichen: Im Falle
des "Vier-Welten-Kubus" ist dies das Feld aus Bodensensoren mit Verbindungen zum
Rechner. An der Schnittstelle wechselt der Beobachter die Relation Innen-Außen
für Bewegungen im Real- und Bildraum: Der Beobachter wird zuerst an die
Schnittstelle vom mentalen Standpunkt der Selbstorientierung in der realen Welt
(Raumbild) anschließen, um in eine virtuelle Welt (Bildraum) zu gelangen und
Bildbewegungen zu provozieren. Wenn der Beobachter sich im Realraum bewegt und
die Echtzeit-Reaktion der Bildsimulation dem Zufall überläßt, dann leitet er
seine Operationen mittels "Handlungsplänen" (Piaget: «schème»), die ihm
zur Orientierung im Realraum dienen. Während der Orientierung im Realraum ist
die Bildprojektion peripher - sie ist nur als einzige Lichtquelle des
Environments relevant.
Rechner können Daten von Installationen mit Sensoren erhalten, die Beobachteroperationen registrieren. die Rechner können die installationsinternen Daten über Telekommunikation mit installationsexternen Daten kombinieren, verarbeiten und Präsentationsmedien in der Installation zuführen. Solche reaktiven Installationen mit Datenfernübertragung kombinieren die beiden Stränge 1. der künstlerischen Experimenten mit partizipativer Telekommunikation (s. I.) und 2. der reaktiven elektronischen Installationen (s. II. und III.).
1968 plant Ted Kraynik Bojen mit Stelen, an denen Lichter befestigt sind, im Bostoner Hafen zu installieren ("Synergic Light Buoys"). Die Lichter sollen auf die Menge der Telefongespräche, den Straßen- und Metro-Verkehr sowie auf Gas- und Elektrizitätsverbrauch reagieren. Der Architekt Toyo Ito konzipiert in den achtziger Jahren eine an urbane Netze anschließende Installation in der Stadt Yokohama. Die Installation besteht aus "Netzwerken" für "Samplers" (Input-Daten-"Sammler" mit Sensoren), "Performance Devices" ("Darstellungsmedien"), "Interface Devices" zur Interaktion zwischen Samplers sowie zwischen "Samplers" und "Performance Devices", Computerverbindungen von Hafennetzwerken mit anderen Netzwerken ("Computer Network") und "Key Stations" ("Kontrollstationen"). Netzwerke von Itos multimedialem und multilokalem reaktivem System schließen an vorhandene Netzwerke an. Samplers, Präsentationsmedien und Kontrollstationen der urbanen Netzwerke wie der Netzwerk-Performance sind an verschiedenen Orten in einer Stadt eingerichtet: In Yokohama kreuzt Ito die vorhandenen urbanen Netze mit neu installierter Technologie. Ito installiert ein `Netzknotennetzwerk´. Als Netzknotennnetzwerk wird hier die Vernetzung der Knoten, an denen vorhandene und neu installierte Netzwerke miteinander kombiniert werden, bezeichnet. IV.2. Zentralisierung und Dezentralisierung Die Mitglieder der Gruppe kr+cf-Knowbotic Research realisierten
1993 einen "Simulationsraum" als "Mosaik mobiler Datenklänge",
kurz "SMDK".
Ein Beobachter im "realen Aktionsraum" (Knowbotic Research) erhält
eine Datenbrille, mit der er in visuellen und audiellen Simulationsräumen
wandert. Reale und simulierte Räume überlagern sich. Das System verarbeitet
Soundfiles, die von außen über Mailbox aufgenommen werden, und Daten,
die sich aus den Beobachteroperationen im Realraum ergeben. Durch die
Überlagerung zweier Dateneingänge und verschiedener Verarbeitungsebenen
erhält das System ein Eigenleben, das es dem Beobachter erschwert, Reaktionen
auf seine Aktionen zu erkennen. Projektgruppe Netzstadt: Fließgleichgewicht, 1994 Eduardo Kac: Ornitorrinco in Eden, 1994 V. lernfähige Netz-Werke Auf der "Ars Electronica `95" in Linz stellt Luc
Steels ein lernfähiges Apparatesystem in einem Vortrag unter dem Titel "
The Selfish Robot and the Origins of Intelligence" vor, das im Artificial
Intelligence-Labor der Universität Brüssel entwickelt wurde. Dieses "physische
robotische Ökosystem" enthält mobile Einheiten, die durch "evolutionäre
Techniken" in der Lage sind, "ein primitives Repertoire von Grundverhaltensmuster
zu entwickeln." Die Roboter bestehen aus Lego-Steinen, einem Hochleistungsmikroprozessor,
Sensoren und Motoren. Die Roboter steuern die Ladestation selbständig
an. "Parasiten in der Form von Lampen" ziehen "dem...Ökosystem
ebenfalls Energie ab." Roboter und "Parasiten" spielen "`das
Spiel des Lebens´" um die knappe Energie des "Ökosystems".
Die Roboter paralysieren die "Parasiten" zeitweilig, wenn sie gegen
die "Kisten" (Steels) mit Lampen stoßen.
VI.1. Multilokale
Zwei-Weg-Kommunikation Zwischenmenschliche partizipatorische Kunstformen des
Aktionstheaters der sechziger Jahre sind in den siebziger Jahren zu ersten
Formen interaktiver Telekommunikation weiter entwickelt worden (II.2.). Waren
diese Formen des Gebrauchs von interaktiver Telekommunikation nicht nur im
Kunstkontext, sondern auch als TV-Anwendungen neu, so werden sie heute durch
TV-Shows mit Zuschauerrückkoppelungen (Life-TV, Telefon) kolportiert: Der
Zuschauer wird nicht zum "participant", sondern demonstriert als Mitspieler noch
die Macht der Massenmedien, die Zwei-Weg-Kommunikation (Interaktion) ihrer
Ein-Weg-Kommunikation vom Sender zum Empfänger subordinieren. In den Anfängen
interaktiver Telekommunikation versuchten Künstler, neue Möglichkeiten der
Zwei-Weg-Kommunikation zu etablieren (II.2., II.3.). In den neunziger Jahren
sind Angebote von Kunstadressen in Datennetzen (und reaktive CD-ROMs) nur
kunstspezifische Besonderungen von sich schnell durchsetzenden
Kommunikationsmedien. Die Situation des Beobachters gegenüber lernfähigen
Elementen mit Zugängen über Datenfernübertragung ist dagegen heute noch so neu,
daß genauere Trennungen zwischen Kunst und Forschung noch nicht entscheidend
sind: Beide sind daran interessiert, neue Medien in neuen Modellen für
Weltbeobachtung zu erproben. An eine Medienkunst-Geschichte, die verfolgt, wie
Künstler reaktive Systeme parallel zu technischen Innovationen weiter
entwickeln, sind aktuell realisierte Systeme anzuschließen, die Möglichkeiten
der Aktion mit lernfähigen, sich (teilweise) selbst organisierenden Maschinen
enthalten.
Fragen des Gebrauchs der Prädikate "menschlich" und "maschinell" sind durch Fragen an die Komplexität der Selbstorganisation von Systemen ersetzbar. Maschinen und Menschen treten in "System-zu-System-Beziehungen" (Luhmann) zueinander. Die komplexe Lernfähigkeit menschlicher Intelligenz/Rechner und das Problem, ob digitale Datenverarbeitung mit menschlichem Denken je konkurrieren kann, liefern keine Argumente gegen "System-zu-System-Beziehungen" zwischen Maschine und Mensch: Ein auf maschineller Datenverarbeitung aufgebautes System muß, wenn es mit ausschließlich auf menschlicher Intelligenz basierenden Systemen in Beziehung tritt, nicht von vergleichbarer Komplexität sein. Reaktive computergestützte Installationen können hinreichend komplexe Gegenspieler für menschliche "Beobachtungsoperationen" sein, ohne mit menschlicher Intelligenz an Verarbeitungsfähigkeit konkurrieren zu müssen. Reaktive Systeme sind so konzipierbar, daß sie Akteure zu einem Wechselspiel zwischen "Beobachtungs-" und Beobachteroperationen provozieren. Dieses Wechselspiel kann als Modell und Anleitung zu ähnlichen Wahrnehmungsprozessen der Refokussierung im Alltag verstanden werden. Beobachtungskonzepte arbeiten mit Reduktionen von Komplexität durch Abstraktion. Künstlerische Installationen können unterkomplexe Beobachtersituationen offerieren, die gerade durch ihre Unterkomplexität als Erfahrungsmodell mit impliziter Anleitung zur Restrukturierung von Welt-(und Kunst-)Beobachtung taugen. VI.3. `Spielregelspieler´ Reaktive Systeme können `Spielregelspieler´ zulassen,
die nicht nur im, sondern auch mit dem System spielen. `Spielregelspieler´
ergeben sich bei Modellen, die dem Beobachter (begrenzte) Eingriffe in ihre
Systemstruktur erlauben. Die Möglichkeiten der Netz-Werk-Architektur, die in
IV.2. und V. dargestellt wurden, lassen sich, wenn die Konzeption der
`Spielregelspieler´ hinzugefügt wird, in folgendem Idealmodell
zusammenfassen:
Bildquellen (2009): Die Quellen sind als Links den Bildern unterlegt. Ein Klick auf ein Bild öffnet die Webseite mit der Quelldatei.
(publiziert in: Zacharias, Wolfgang (Hg.): Interaktiv. Im Labyrinth der Wirklichkeiten..., Essen 1996, S.407-429. Der Text enthält einige Abschnitte aus dem Artikel "Vernetzungskünst(l)er" und schließt in Fragen des Einsatzes von Robotern Anregungen der "Ars Electronica 95" ein.)
|